Thasischer Marmor, H. 55,6 cm
Verkleinerte hadrianische Kopie nach einer athenischen Bronzestatue
um 430 v.Chr.
Inv. Lu 231
Provenienz
Schenkung 1981 Peter und Irene Ludwig. Seit 1974 als Leihgabe im Antikenmuseum Basel. Ehemals Sammlung Peter (1925–1996) und Irene (1927–2010) Ludwig, Aachen.
Beschreibung
Dieser zum Einlassen in eine separat gearbeitete Statue bestimmte Kopf ist aufgrund der stilistischen Qualität und seiner Anmut ein besonderes Meisterwerk. Er gehörte einer verkleinerten römischen Kopie einer kolossalen klassischen Athenastatue in Athen. Der elegante Umriss des ganzen Kopfes fasst das jugendliche Gesicht und den über den Oberkopf zurückgeschobenen korinthischen Helm zu einem in die Höhe gereckten Oval zusammen. Das mädchenhafte Gesicht und der Kriegerhelm passen durchaus zum dualen Wesen der Athena, die nicht nur Göttin der Weisheit und der Kultur ist, sondern auch der Kriegsführung. Dank dieser Eigenschaften und dem Namen nach war sie die genuine Schutzpatronin Athens, der führenden griechischen Stadt, die nach der Abwehr der Persereinfälle von 490 und 480 v. Chr. eine kulturelle Hochphase sondergleichen erlebte. Die jungfräuliche Göttin wurde hier mit unzähligen Standbildern und Festen geehrt, und natürlich war ihr auch der Haupttempel auf der Akropolis geweiht: der nach ihrem Beinamen parthenos («Jungfrau») benannte Parthenon. Das originale Standbild, das unser Kopf verkleinert wiederholt, wies, wie die fast vollständige massstabsgetreue Kopie aus Velletri (heute im Louvre) aufzeigt, mit sechs Ellen Höhe die doppelte Lebensgrösse auf (ca. 350 cm). Wie römische Münzbilder nahelegen, stützte die in Himation und Mantel gehüllte Göttin in ihrer ursprünglichen Form ihre erhobene Rechte auf einen Speer und hielt in ihrer gesenkten Linken eine kleine Attributfigur (wahrscheinlich eine Nike), der auch ihr Blick galt. Diese originale Schöpfung wurde in der Forschung traditionell mit Kresilas in Verbindung gebracht – und zwar aufgrund der Ähnlichkeit ihres Kopfes mit demjenigen der Amazone Sciarra, die früher diesem Bildhauer zugeschrieben wurde. Da diese Amazone neuerdings mit guten Gründen mit Polyklet in Verbindung gebracht wird (siehe unsere Nr. 93), dürfte auch die Athenastatue von diesem bedeutenden Bildhauer gefertigt worden sein. Martha Weber schlägt vor, das Urbild mit der Friedensstatue der Athene Eirene gleichzusetzen, welche Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr. auf der Athener Agora neben dem Prytaneion gesehen hat. Zu einem Friedensdenkmal würde die Athena, die in der klassischen Plastik zwar nie kämpfend gezeigt wird, die aber stets mit Helm, Lanze und manchmal auch Schild bewehrt ist, gut passen. Es deutet an, dass Frieden stets mit kriegerischer Stärke abgesichert sein muss, letztlich aber zerbrechlich bleibt.
Bibliographie
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